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Das Wiederfinden der Muttersprache

von Natalia Mleczko (Öffnet in neuem Fenster)

Diese Geschichte ist die ausschließlich Meinige, aber ich weiß aus Erfahrungen, dass die Geschichten von Migrant:innen sich in vielerlei Dingen überlappen. Es geht diesmal um die Sprache. Das ist die größte Barriere in der Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Nationen, Regionen und Staaten. Eine Sprache zu haben, zeigt woher du kommst. Es sagt etwas aus, wenn du bi- oder multilingual bist. Kübra Gümüsay schrieb in ihrem Buch, dass es auch aussagt, welche Sprache man spricht. Einige Sprachen gelten als Prestigesprachen. Englisch, Italienisch, Französisch, diese zu können, erzeugt eine Art des Entzückens in vielen Gesichtern. Während andere Sprachen nur zur Kenntnis genommen werden. 

Wer will schon Albanisch, Kroatisch oder Polnisch können? 

Hier ist die Krux. Als ich mit elf Jahren nach Deutschland kam, war die oberste Maxime: lerne die Sprache und du wirst zurechtkommen. Stimmt. Aber viele Migras kennen vermutlich auch die Situation: du sprichst mit deiner Familie in ÖPNV in deiner Sprache und wirst schief angeguckt oder kriegst den Spruch, dass du in Deutschland bist und du Deutsch sprechen sollst. Davon lässt man sich als Kind einschüchtern und man verbannt seine Sprache ins Private, bis sie gänzlich unbedeutend wird, da die neue Sprache immer mehr Raum einnimmt. Und dann passiert, was mir passierte, deine Muttersprache entwickelt sich nicht weiter, weil es keine Übungsmöglichkeiten mehr gibt, weil deine Sprache nicht mehr gepflegt wird. Sie stagniert und bleibt auf dem Niveau stehen, als du eingewandert bist. In meinen Augen ein Versagen. Lange dachte ich, ich habe individuell versagt, aber in den letzten Jahren kam mir die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft, diese Potentiale verkümmern lässt, anstelle diese zu fördern. Was für ein Versagen an Schulen, Unternehmen, Behörden und Universitäten. 

Ich befinde mich gerade in meiner Heimat. Jedes Mal dort zu sein ist mit etwas Stress verbunden, da immer gestaunt wird, warum meine Sprache nicht einem Muttersprachler gleicht. Wie doch soll sie so sein, wenn man nur wenig Übung hat? Wo soll sie gelernt werden, wenn es keine geeigneten Räume dafür gibt, wenn es keine Lehrer:innen dazu gibt? Wenn man in dieser Hinsicht kein Lehrer:in selbst sein kann? Jedes Mal bin überglücklich mit jemanden zu sprechen, der versteht, wie anders es ist Sprachen oder überhaupt etwas zu lernen. Denn Lernende verstehen, wie schwer etwas neu oder wieder zu erlernen ist. Sie verstehen, wie langwierig und schwierig, aber auch wunderschön Lernprozesse sind. 

Zurück zur mir: Ich bereitete mich auf meinen Urlaub vor, ich las in meiner Muttersprache, ich hörte Podcasts in meiner Muttersprache. Nur selten jedoch kann ich diese Sprache und meinen Wortschatz aktiv anwenden. Aber das Lesen und Hören aktiviert unbewusst Areale in meinem Hirn und es kommen ungewöhnliche Wörter und Gedanken hervor. Das allein macht mich glücklich. Letztens hatte ich auch eine ähnliche Erfahrung mit Musik, auch hier ein aufwendiger und langfristiger Lernprozess, es kam Wissen, ohne das man dieses Wissen aktiv gelernt hatte. Kleine Schnipsel, dass man durch passives Hören oder Spüren bereits durchdrungen hat. 

Dieses Wiederfinden der Sprache ist ein nostalgisches Gefühl, aber auch ein Zukunftsversprechen. 

Es ist Graus, dass man oftmals Migras mit keinem 'prestigeträchtigen Herkunfts-Background' suggeriert - dass gelungene Integration ist, dass das indirekte Verlernen deiner Sprache, dich zu einem eindimensionalen Strebermigranten macht, aber dich das von dir und deinen Wurzeln entfernt und einen selbst etwas spaltet. Aber im Nachhinein, denke ich, dass es besser wäre, dass man eher der Czollekschen "Desintegriert euch!"-Polemik folgen müsste, um diesem Ideal einer Leitkultur zu entgegenwirken. Und mit stolzer Brust zu sagen: "Ja, ich kann polnisch und ich spreche es, wo und wann ich es will".

Wie hat euch der Artikel gefallen? Was sind Eure Erfahrung mit eurer Mutter- oder Vatersprache in unserer Gesellschaft Schreibt mir gern über eure Erfahrungen in die Kommentarleiste!

Kategorie Personal Stories
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