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Über die Kunst des Aufhörens

von Natalia Mleczko (Öffnet in neuem Fenster)

Die neuseeländische Politikerin Jacinda Ardern ist in so vielen Ebenen ein Vorbild. Sie hat wieder etwas getan, wofür sie von vielen Menschen gefeiert wurde. Sie verkündete, dass sie ihr Amt als Ministerpräsidentin Neuseelands niederlegt. Nach vielen Jahren im Amt, hat sie unter Tränen mitgeteilt, keine Energie mehr für den anspruchsvollen Job zu haben. Ihr Kommunikationsstil war klar und ehrlich. Im Grunde genommen hat sie mitgeteilt, dass sie ausgebrannt sei und dringend eine Pause benötige. So etwas Ehrliches und Bodenständiges sieht man selten, vor allem in einer Branche, in der Dauerüberstunden und Durchsetzungsvermögen die Währung für Erfolg und Stärke sind. Ardern hat bereits so vieles mit ihrer Präsenz und ihrer Art verändert. Sie zeigte uns, dass auch ein solcher Posten ein Ort für Gefühle und Menschlichkeit sein kann. Dass sie zu diesem Zeitpunkt aufhört, zeigt auch, dass sie ihre Bedürfnisse ernst nimmt und priorisiert. Dadurch zeigt sie nochmal gekonnt, dass sie eine große menschliche Anführerin ist. Sie wird definitiv vermisst werden. Sie hinterlässt uns ein Bild wie eine Führungskraft aussehen kann - respektvoll, bodenständig und nah an den Menschen. Ihr Abschied setzt schon jetzt Maßstäbe für andere, die nach ihr kommen werden. Sie beherrscht wahrlich die Kunst des Aufhörens.

Emma Gannon hörte urplötzlich auf, so wie sie damals anfing - ohne viel Trara.

Erst letztens hat die Autorin und Podcasterin Emma Gannon mit ihrem Podcast "CTRL, ALT, DELETE" aufgehört. Nicht ganz aus dem Nichts heraus, aber trotzdem überraschend genug. Der Podcast ging um so viele Themen, die mich interessieren, aber ich mochte im Grunde genommen die Moderatorin dieser Interview-Reihe am meisten. Sie hat einen ruhigen, respektvollen und dennoch sympathischen Interviewstil an den Tag gelegt. Emma Gannon ließ ihre Gäste einfach reden und hörte ihnen aufmerksam zu. Das hat man immer gemerkt und glaubt mir, das kann nicht jeder.  Ihre Art und ihre Themen werde ich vermissen, aber ich fand auch ihre Erklärung stark, warum sie mit diesem Projekt aufhört. Er brachte ihr eine Menge Geld ein, doch es war nie ihr Ziel ein Podcast-Host zu werden. Als sie mit "CTRL, ALT, DELETE" anfing, ging es primär darum ihr gleichnamiges Buch zu promoten. Ihr Promo-Podcast wurde aber sofort gut angenommen und da es ihr damals Spaß machte, zog sie diesen über mehrere Jahre durch. Nach nun knapp 300 Folgen ist Schluss, weil sie ihre Zeit etwas anderem widmen möchte und sie bemerkte, dass sie nicht mehr für Podcast brennt. Sie möchte ihre Zeit etwas Wichtigerem widmen - ihrem Schreiben. Deshalb hörte Emma Gannon urplötzlich auf, so wie sie damals anfing. Ohne viel Trara und viel Aufhebens. Ebenfalls ein gekonntes Ende.

Aufhören bedeutet nicht zu versagen, sondern sich für etwas Anderes zu entscheiden

Seitdem interessiert mich das Thema des gekonnten Aufhörens. Aufhören bedeutet in erster Linie ein Nein zu etwas, das nicht mehr funktioniert. Manchmal ist die Lust für die Sache vergangen. Aufhören kann aber auch ein Zustand des Stillstands sein, weil neue Ziele und Leidenschaften noch nicht am Horizont aufgetaucht sind. Aufhören bedeutet, auch immer ein Neuanfang. Aufhören kann sich wie ein Gefühl des Versagens anfühlen, das Angst und Panik erzeugt.  Etwas wird abgeschlossen. Doch können wir meist entscheiden, wie wir aufhören wollen. Deshalb kann eine solche Entscheidung eine/n sogar ermächtigen. Jedoch viel häufiger ducken wir uns vor solchen Entscheidungen weg, weil wir oft wissen das ein Aufhören aktuell außer Frage steht, obwohl wir tief in einem drinnen Wissen, dass die Entscheidung überfällig ist oder gar schon längst entschieden ist. Deshalb verharren wir auf einen Punkt, weil wir nicht Aufhören dürfen. Nicht jetzt. Es geht nicht. Ich kann nicht. Ich darf nicht.

Keine Innovation ohne Anfang und Ende

Gesellschaftlich wird das Thema Aufhören zumeist mit negativen Gefühlen assoziiert, obwohl Aufhören ein tagtäglicher Vorgang ist. Ein, wie ich finde besonders essenzieller sogar. Er wird benötigt für Innovation und (persönlichen) Fortschritt. Dennoch wird das Aufhören mit Schwäche verbunden. Wer aufgibt hat keine Willensstärke und Durchsetzungsvermögen. Doch manchmal ist aufhören, die bessere Entscheidung als zu bleiben und sich durchzuboxen. Doch oft genug, bekommt man das Gefühl vermittelt, dass man versagt hat. Dieser erste Reflex ist toxisch und übergriffig. Denn einen Schlussstrich zu ziehen, erfordert Mut und die Reflektion mit den eigenen persönlichen Bedürfnissen. Man entscheidet sich für sich selbst und die innere Priorisierung, für die innere Intuition. Dafür braucht es Mut, Vorstellungskraft und das Bewusstsein des Ungewissen, dass dieser immer ein Teil des Prozesses ist. Ein Sprung ins Unbekannte. Ein Sprung ins Neue.

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Kategorie Personal Stories
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