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Die Archu-Stars kehren zurück nach Hause

Letzte Woche sind Stini und ich nach Oberhausen gefahren, um ein Bild nach Marburg zu holen, das eine besondere Bedeutung für uns hat. Und dies ist die Story:

Das Bild heißt 'Archu-Stars'. Es ist das bisher größte Bild, das ich jemals gemalt habe. Und es ist gleichzeitig eines der ersten. Was ziemlich verrückt ist, weil man sich vielleicht erst einmal an kleineren Formaten versuchen sollte, wenn man mit dem Malen beginnt. 

Damals jedoch war ich von dem Maler Jean-Michel Basquiat begeistert, der kindlich-anarchische Bilder auf riesige Flächen pinselte. Das wollte ich auch. Daher kaufte ich vier an sich schon recht große Leinwände, schusterte sie zu einem Rahmen von 180 mal 240 Zentimetern zusammen und machte mich an die Arbeit.

Es war das Jahr 2011, das Jahr, in dem ich meinen Job als Jugendevangelist aufgab. Elf Jahre lang war ich durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gereist und hatte gepredigt. Nun nicht mehr. Ich befand mich in einer völlig neuen Lebensphase, von der ich nicht wusste, welche Gestalt sie annehmen würde. 

Als Familie gingen wir durch harte Zeiten. Unsere beiden Söhne rangen mit ihrem Autismus und wir mit der Frage, wie man sie richtig erziehen sollte. Und auch wir selbst hatten jede*r für sich unsere ganz persönlichen Päckchen zu tragen. Das Malen wie überhaupt jede künstlerische Ausdrucksform waren für mich ein gutes Ventil, um meine kreativen Energien zu bündeln und mir einen Ausgleich zu verschaffen.

Unser ältester Sohn hatte damals ein neues Spiel entdeckt: Er sagte Worte rückwärts. Der jüngere wollte ihm das nachmachen und versuchte sich an dem Begriff 'Schatztruhe'. Herauskam etwas sehr Lustiges, das für mich wie 'Archu-Stars' klang. Das müsste man malen, dachte ich. 

So entstand die Idee zu diesem riesigen Graffito/Comic-Strip, in dem ich verschiedene Themen verarbeitete, mit denen sich unsere Söhne, die Archu-Stars, gerade beschäftigten: mit Raketen, Planeten, Hummern und Pfauen, mit Vulkanen und natürlich Waschmaschinen. Ich versuchte die Art, wie sie diese Dinge selbst malten und wie sie über sie sprachen, zu adaptieren. Wenn man so will, ist das Bild also eigentlich ein Porträt unserer Söhne aus dem Jahr 2011.

Das Problem mit derartig großen Bildern ist, dass es große Wände braucht, um sie aufzuhängen. Ich fragte deshalb eine befreundete kunstaffine WG, die in einem großen Haus wohnte, ob sie das Bild geschenkt haben wollten, gab mein Bestes, es richtig zu beschreiben, machte Fotos (wenn ich mich nicht irre). Sie sagten zu, was mich sehr freute. Und so liehen wir einen Transporter und brachten die Stars in eine ein paar Hundert Kilometer entfernte Stadt. 

Doch schon beim Hereintragen des Bildes spürten wir, dass etwas nicht stimmte. Jetzt, da die Freunde das Gemälde leibhaftig vor sich sahen, schienen sie nicht mehr so sicher zu sein, ob sie es wirklich haben wollten. Es folgte ein nicht ganz angenehmes Abendessen, bei dem kaum über das Bild gesprochen wurde. Dann machten wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Rückweg und waren uns nicht sicher, ob wir die Stars im richtigen Haus zurückgelassen hatten.

Einige Zeit darauf erreichte mich die Nachricht eines Mannes, der sich als der Schulleiter der Christoph Schlingensief Schule in Oberhausen vorstellte. Er war zu Gast in der WG gewesen, hatte das Bild gesehen, seine Geschichte gehört und sich darin verliebt. Er wollte von mir wissen, ob ich etwas dagegen hätte, wenn die Archu-Stars leihweise in seiner Schule hängen würden. Selbstverständlich war ich damit einverstanden. Und so zogen sie wieder um, diesmal um zu bleiben. Und zwar für immerhin acht Jahre.

Denn neulich schrieb ich eine Email an die derzeitige Leiterin der Schule. Ich stellte mich als der Maler des Bildes vor und fragte sie, ob es möglich wäre, das Bild zu besuchen. Ich benötigte ein besseres Foto davon, als ich es bisher besaß, für einen Bildband, den ich gerade zusammenstelle. Sie antwortete, dass es sehr passend sei, dass ich mich melden würde, denn die Schule würde gerne ein neues Bild anstelle der Archu-Stars aufhängen. Ob ich es vielleicht abholen wolle. 

Nach einem sehr netten Gespräch in ihrem Büro, betraten wir die Schulküche und sahen die Stars das erste Mal nach langer Zeit wieder. 

Wir nahmen das leicht ramponierte Bild von der Wand, bauten die vier Tafeln auseinander und verstauten sie in unserem Auto. Dann verabschiedeten wir uns mit einem freundlichen Händedruck und brachten sie nach Hause. 

Jetzt hängen sie in der Bokopano Factory, dem Ort in Marburg, den ich mir mit Rose und Manuel Steinhoff und Marco Michalzik teile, wo wir an Projekten arbeiten und uns neue schöne Dinge ausdenken. Ich schätze, das ist genau der richtige Platz für das Bild. 

Ist das eine schöne Geschichte? Einerseits schon. Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass die Archu-Stars in einer Schule mit solch klingendem Namen eine gewisse Zeit lang zuhause sein durften, auch wenn ich dafür nicht einen Cent erhalten habe, und ich hoffe, dass sie Schüler*innen eine Freude gemacht haben. Außerdem freue ich mich, sie wiederzuhaben, weil sie Ausdrucke eines wichtigen Teils unseres Lebens sind. 

Was die Wertschätzung eines Kunstwerkes angeht, ist sie aber irgendwie ambivalent, finde ich. Du kannst es als Künstler eben nicht wissen, ob das Herzblut, dass du in deine Arbeit steckst, Anerkennung findet, ob es und bei wem es Resonanz auslöst oder eben nicht. Kunst ist auf Liebhaber angewiesen. Wer sich ihr zuwendet, kann Schönes erleben. Aber sie bleibt ein Angebot, das jederzeit ausgeschlagen werden kann. Das ist nun einmal der Deal.

Deshalb ist sie verletzlich und braucht Freunde. So wie du, wie ich und wie die Archu-Stars.

https://fb.watch/jiPu0tUfI4/ (Öffnet in neuem Fenster)

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