Wieso wir trotzdem ohne KI schreiben sollten
Und wieder eine neue KI, die Bücher schreiben kann. Und viele sind von den Ergebnissen jetzt schon begeistert – ohne sie gelesen zu haben.

Es wird Zeit, mal etwas grundsätzlich zu werden. Zum Ausgleich nehme ich mir vor, am Ende des Newsletters noch einen praktischen Tipp zu schreiben. Damit du dabei bleibst :-)
Warum wir unsere Texte mithilfe von KI schreiben sollten
Was ist ChatGPT eigentlich? Ein gigantisches Sprachmodell. Also ein digitales Netzwerk, das sehr viel über Sprache weiß. Wie hat diese "KI" das gelernt? Durch Wahrscheinlichkeitsrechnung: Ein solches Sprachmodell wird mit Milliarden von Texten gefüttert und kann daran erkennen, dass nach dem Wort "Mitochondrien" regelmäßig die Formulierung "Kraftwerke der Zellen" geschrieben steht. Deshalb wird ChatGPT diese Formulierung auch verwenden. Es weiß nicht, was Zellen sind oder Kraftwerke – aber eine Milliarde anderer Autor:innen können nicht irren.
Das technische Sprachmodell hat zusätzlich einen Blick auf die Struktur von Texten und deshalb gelernt, dass am Anfang eines Textes häufig ein kleiner Einstieg steht und am Ende einige Faktoren zusammengefasst werden. Und ein solches Sprachmodell kann Stile unterscheiden, Wortarten unterscheiden und so weiter.
Also wird der Inhalt und die inhaltliche Struktur eines Beitrags über Mitochondrien professionell und durchschnittlich sein. Da ChatGPT alle Rechtschreib- und Grammatikregeln kennt und umsetzt, lesen wir seine Ergebnisse mit großer Überraschung bis hin zur Begeisterung. "WAS? Ein Computer kann so etwas schreiben? Irre!", denken wir.
Genau das kann ein Sprachmodell. Nicht mehr und nicht weniger. Dessen können und sollten wir uns nun tagtäglich bedienen. Jetzt, da es die KI gibt, hilft sie uns dabei, aus bestehenden Texten Ideen zu entwickeln, diese professionell in einem festgelegten Stil zu formulieren und unsere Texte zu glätten.
Und falls du noch glaubst, du könntest "besser" als eine KI schreiben, kopiere deinen besten Text mal bei DeepL Write (Öffnet in neuem Fenster) rein. Diese KI wird dir Vorschläge für bessere Formulierungen machen – die dir die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Warum wir trotzdem ohne KI schreiben sollten
Ein kleiner Selbst-Test, ob dein Job als Autor:in in Gefahr ist:
Eine KI formuliert einige Vorschläge für den Inhalt eines Artikels.
Du übernimmst alle Ideen (0 Punkte)
Du pickst dir die besten raus (3 Punkte)
Du machst dich darüber lustig (-1 Punkt)?
ChatGPT erstellt dir einen kleinen Test für Autor:innen, ob sie überflüssig werden. (so etwas wie hier)
Du übernimmst diesen Test (0 Punkte)
Du verwirfst ihn, aber lässt dich davon inspirieren (3 Punkte)
Du übernimmst die Fragen, aber redigierst sie (1,5 Punkte)
DeepL Write prüft einen deiner Texte auf Fehler und Stil.
Du übernimmst ihn per Copy-and-paste (0 Punkte).
Du gehst die Vorschläge durch und übernimmst einige (3 Punkte)
Du übernimmst einige und versuchst, daraus zu lernen (6 Punkte)
Auswertung: Falls du weniger als 9 Punkte hast, solltest du dich fragen, ob du gerne Autor:in bist und welcher Job für dich sonst infrage kommt. Oder du lässt aus anderen Gründen mal die Finger von der KI. Hier drei Gründe dafür:
1. Eine KI ohne Mensch ist öde
Natürlich können KIs ganze Bücher schreiben. Vielleicht sogar besser als manche Autor:innen, die ihre Krimi- oder Fantasy-Reihen in vierteljährlichem Takt verlängern. Bekannte Storylines, erwartbare Gefühlsentwicklungen und die fantasielose Protagonist:innen lassen sich beliebig durch eine KI reproduzieren. Das Ergebnis sind keine schlechten Bücher – doch ihr Inhalt ist erwartbar. Was ihre Leser:innen übrigens an ihnen schätzen. Und eine KI kann sie schreiben.
Doch, was wäre, wenn die Leser:innen wüssten, dass diese Bücher von einer KI geschrieben wurden? Wenn nicht ein menschliches Pseudonym auf dem Cover, sondern "ChatGPT" oder "Book KI" stehen würde? Was würden Podcast-Hörerinnen denken, wenn sie wüssten, dass sie einen automatisch produzierten Text von einer synthetischen Stimme vorgelesen bekommen? Wie fühlst du dich, wenn du auf ein Bild schaust, das nicht fotografiert, sondern von Dall-E erfunden wurde? Die Antwort ist derzeit noch uneindeutig. Doch ich denke, Menschen erwarten, dass kreativer Output von Menschen geschaffen wird. Jedenfalls derzeit und teils auch in Zukunft.
Und zwar immer, wenn wir von einem Text mehr als nur Wörter und Sätze erwarten. Also, etwa, wenn es um die Zusammenfassung von Sportergebnissen geht. Das kann sicherlich entmenschlicht werden. Die Kommentierung eines Fußballspiels möge aber bitte ein Moderator erledigen, dessen Stimme bekannt ist.
Und, ja, ich denke, dass es dieses "Mehr" hinter vielen Texten gibt. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir drei Phasen der Wahrnehmung von KI erleben:
Die große Überraschung: Derzeit überwiegt die Begeisterung (häufig) oder die Abscheu (selten), dass so etwas möglich ist. Schon der Gedanke, dass etwas von einer KI geschrieben wurde, ist dieses "Mehr", die Story dahinter: Texte, die von einem Computer geschrieben wurden, sind im Jahr 2023 zweifellos faszinierend.
Die kleine Ernüchterung: Sobald die Faszination abgeklungen ist und KI-generierte Inhalte alltäglich geworden sind, werden wir feststellen, dass etwas fehlt. Nicht alle und nicht hinter jedem Text. Das wird ein bisschen so sein, wie der Geschmack von Zuckerersatzmitteln oder alkoholfreiem Bier. Etwas in uns wird uns signalisieren, dass etwas fehlt. Einigen wird auffallen, was uns fehlt. Der Hintergrund, die Story dahinter: WER hat den Podcast gesprochen? WER hat das Buch geschrieben hat? Wir werden ein Foto anschauen und uns fragen, ob es nicht nur schön, sondern auch real ist. Eine Frage, die dank Photoshop auch ohne KI Unsinn ist, aber trotzdem.
Die produktive Phase: Schließlich wird es – in meiner Vorstellung – eine weitere Veränderung geben. Wir beginnen, das eine vom anderen zu trennen. Es wird Medien und Kanäle geben, bei denen es egal ist, WER das gemacht hat. Sportergebnisse vielleicht, Nachrichtenpodcasts oder gefühlsschwangere Liebesgeschichten. Doch in manchen Bereichen wird es uns umso wichtiger sein, welche Person dahintersteckt, wie die Story dahinter lautet. Vielleicht bei Laber-Podcasts oder großen Romanen. Ganz sicher auch bei politischer Berichterstattung.
Es wird sich also – auch wirtschaftlich – für Texter:innen lohnen, sich an den Schreibaufgaben zu üben, in denen uns die KI niemals ersetzen kann. Vielleicht müssen wir eine persönliche Marke aufbauen. Oder die Welt etwas häufiger kommentieren, statt nur über sie zu berichten. Die Zeit dafür holen wir uns von der Zeitersparnis, die uns die KI bei Standard-Texten spart.
2. Wir müssen die Kunst beherrschen
Dann ist da noch die Sache mit dem Training: Beim Schreiben werden zig Hirnareale benötigt – und trainiert. Das sollten wir nun nicht völlig einstellen, weil eine KI manche Dinge so gut (oder besser) macht wie wir selbst. Ich trete hier nicht für Gehirnjogging ein. Ich sehe da einen naheliegenderen Nutzen.
Falls wir nicht die gesamte Macht unseres Outputs der KI übergeben wollen, müssen wir sie mit allen vorhandenen kreativen und weitsichtigen Fähigkeiten beherrschen. Heute sind wir dazu zweifellos noch in der Lage. Falls wir aber einige Monate lang alle unsere Text von ChatGPT haben schreiben lassen und sie lediglich kontrollieren und nur ein bisschen kreativen Feensstaub darauf verteilen, verlieren wir die Kontrolle über unsere Fähigkeiten.
Oder, in einem Bild gesprochen: Gute Fußballtrainer:innen stehen bei den offiziellen Spielen natürlich nicht auf dem Feld. Trotzdem dürften die meisten von ihnen, fast täglich Fußball spielen. Auch, weil sie es gerne machen. Alles andere wäre völlig verrückt.
3. Und, außerdem: Es geht es ums Schreiben
Es gibt ja einen Grund oder mehrere Gründe, warum du professionell schreibst. Und selbst, wenn du das nicht tust und dich aus anderen Gründen hierhin verirrt hast: Schreiben ist nicht nur Textproduktion!
Das Schreiben nutzt nicht nur viele Gehirnareale, die trainiert sein wollen. Schreiben ist auch ein Weg in den eigenen Mittelpunkt. Wenn wir schreiben, betreiben wir Introspektion, also lenken die Aufmerksamkeit auf die inneren Vorgänge. Das ist nicht nur sinnvoll, sondern notwendig! Natürlich können wir das auch durch andere Tätigkeiten üben, etwa in guten Gespräche, Therapien oder beim produktiven Nachdenken. Allerdings gehe ich davon aus, dass dieser Newsletter – in dem es um das Schreiben geht – vorrangig von Menschen abonniert wird, für die genau das ein wichtiger Weg zur Introspektion ist.
Klar: Introspektion passiert natürlich nicht, wenn du gerade SEO-Texte für einen Kleiderbügel-Hersteller schreibst. Allerdings gibt es schon in beide Richtungen Effekte: Wer tagsüber zum Lohnerwerb viel schreibt, wird ein besonderes Verhältnis zu psychologischen Schreibtechniken haben. Wer diese übt, wird auch einfache Texte leichter bewältigen.
Was ich mit "psychologischen Schreibtechniken" meine? Zum Beispiel Automatisches Schreiben (Öffnet in neuem Fenster) oder Tagebuchschreiben (Öffnet in neuem Fenster). (Notiz an mich selbst: Diese beiden Artikel sollte ich dringend mal aktualisieren.
Schreiben und Schreiben lassen
Und nun? Ich muss endlich zu einem Ende kommen. Offenbar hatte ich diesen Newsletter nicht richtig unter Kontrolle. Entschuldigung. Damit du dir die vielen Sätze und Absätze sparen kannst, fasse ich zusammen:
KIs sind nützlich und können uns die Arbeit der Textproduktion leichter machen.
Damit wir sie weiterhin beherrschen, sollten wir weiterhin regelmäßig auch selbst schreiben.
Und das auch deshalb, weil Schreiben eine gute Technik ist, sich selbst ein wenig kennenzulernen.
Der praktische Tipp I
Dass ich diesen praktischen Tipp ganz am Ende des Newsletters schreibe, ist schon der Tipp. Ich habe diesen ganz am Anfang recht groß angekündigt. Also wirst du (zumindest ein wenig) neugierig geworden sein. Und wenn dich meine KI-Einlassungen nicht interessiert haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du unten nachgeschaut hast, was der praktische Tipp sein könnte.
Das bringt drei positive Effekte für den Newsletter:
Vorfreude ist die freundliche Schwester der Neugier. Und sie ist der einzige Grund, warum wir uns doomscrollend durch die Sozialen Netze arbeiten. Denn die Vorfreude, vielleicht (!) etwas Unterhaltsames oder Hilfreiches zu finden, lässt unseren Serotoninspiegel steigen. Falls du dich also auf einen guten Tipp gefreut hast, ist schon die Vorfreude für dein Gehirn ein wenig Belohnung.
Ich habe frühzeitig klargemacht, dass ich selbst weiß, wie wenig erbaulich theoretische Einlassungen zu KI-Philosophie sind. Falls du also wegen praktischer Tipps hier bist (und das dürften die meisten von euch sein) wirst du dich ein wenig entspannt haben.
Die Wahrscheinlichkeit, dass du ganz nach unten scrollst, ist durch das Versprechen höher geworden. Und dieses Scrollen fließt bei der Bewertung von Newslettern sehr positiv in die Engagement-Rate ein. Zurecht! Denn so hättest du die Werbung gesehen (falls ich welche hätte) und den Betreibern von Webmail-Services (also Googlemail, GMX, T-Online) gezeigt, dass du mit diesem Newsletter interagierst. Und das ist ein starkes Argument, dass sie mich in Zukunft nicht (!) in den Spamordner verbannen.
Kurz gesagt: Falls es dir gelingt, dass deine Newsletter-Leser:innen Interesse an einem Element am Ende haben, wäre das hilfreich. Selbst, wenn die KI solche Effekte nicht beachtet.
... eins noch
Schau mal auf den Contentman. Dort habe ich einige Beiträge geschrieben und renoviert. Falls du nach einem Projekt suchst, könntest du dich daran machen, eine Sprach-CI bzw. eine Tone of Voice entwickeln. Ich habe aufgeschrieben, wie du dabei vorgehen kannst. (Öffnet in neuem Fenster) Und zwar ganz ohne KI.
Eine schöne Woche wünscht
Eric