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kurz & knapp: Lage Ukraine April24

Präsident Selenskyj bespricht sich mit Militärs in einem Bunker

Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich es immer wieder wiederholen muss. Denn sobald ich mal eine Woche nichts zur Ukraine sage, werde ich danach gefragt. Wie auch in den vergangenen Tagen.
Das ist ok.

Nein, die Ukraine ist noch weit davon entfernt zu verlieren.
Wenn derzeit über Gefechte und Angriffe Russlands berichtet wird, findet das alles in der Region der Stadt Donezk im Oblast Donezk statt. Also in einer Region, die Russland schon vor zwei Jahren eingenommen haben wollte und leicht größenwahnsinnig schon annektiert hat.

Bachmut, Wuhledar, Awdijiwka und aktuell Tschassiw Jar: Das sind alles Dörfer und Kleinstädte um die Stadt Donezk herum. Die ganzen Schlagzeilen von Gefechten betreffen seit über einem Jahr eine Region, die kleiner als München ist. Und bei der Frankfurter Rundschau wird dann beispielsweise im Snippet ein „Eroberungs-Coup Putins“ daraus.
Im ersten Weltkrieg wäre das alles eine einzelne Schlacht gewesen. Mit weit mehr Opfern in kürzerer Zeit. Und kaum eine Schlagzeile wert.

Das sind die Relationen, die man sich immer wieder bewusst machen muss.

Wenn Analysten und Experten - also die wirklichen - sagen, dass die Hilfe für die Ukraine zu spät oder zu wenig ist, dann meinen sie das strategisch und für den Kriegsverlauf. Nicht, dass die Ukraine deshalb in absehbarer Zeit verliert.

Beispielsweise wird heute häufig die Analystin Kateryna Stepanenko des von mir geschätzten Institute for the Study of War zitiert, die Hilfen kämen alle „zu spät“. So steht es in den Schlagzeilen.

Aber sowas würde eine Analystin so nie sagen. In der Analyse erklärt sie dieses „zu spät“ nämlich genauer. Dass diese Verzögerung dazu geführt hat, dass die Russen dadurch mehr Luft hatten, die im Sommer erwartete Offensive vorzubereiten. Die Verzögerung war für die Ukraine „zu teuer“.

Das bedeutet nicht, dass die Ukraine deshalb „auf dem Zahnfleisch geht“, wie eine Kommentator heute Morgen fragte. Geschweige denn, dass sie deshalb dem Untergang geweiht ist. Die Ukraine würde auch mit dem Klappspaten weiterkämpfen.

Lesen Laien die Überschriften, denken sie natürlich, dass es kurz vorm Ende ist.

Um es einmal salopper zu formulieren:
Würden die ukrainischen Truppen sich sofort hinter den Dnepr zurückziehen, also den Fluss, der die Ukraine in zwei Hälften teilt, hätte Russland nicht einmal die Kraft hinterherzukommen und das ganze Gebiet unter Kontrolle zu bringen. Und das wäre nur die Hälfte der Ukraine.

Umso länger der Krieg dauert, umso besser sieht es für die Ukraine aus.
Denn „der Westen“ fängt gerade erst an, sich warmzulaufen.

Das dauert deshalb so lange, weil die Regierungen sich natürlich zieren, „auf Kriegswirtschaft“ umzustellen. Weil so etwas Geld kostet. Auch dauerhaft im Jahresetat. Und es gibt viel zu regeln und mit den Unternehmen zu verhandeln, denn die wollen Planungssicherheit.

Derzeit wird beispielsweise ein neues Werk von Rheinmetall gebaut, das vor allem die 155er Munition für die Artillerie bauen soll. Dieses Werk alleine soll ab dem kommenden Jahr mehr Munition produzieren, als die USA an die Ukraine liefern.
Und das bedeutet, die Finanzierung ist sicher. Das ist quasi schon bezahlt.

Zudem hat die Ukraine derzeit einige kleine „Waffenshows“ veranstaltet. Wo sie gezeigt hat, was inzwischen alles in der Ukraine selber produziert wird. Und das ist nicht wenig. Auch das läuft aber gerade erst an. (Das wollte Russland durch die jüngsten Angriffe auf die Energieversorgung hemmen.)
Große Erfolge konnten ja schon die „Schnellboot-Drohnen“ feiern. Da besteht vielleicht sogar die Chance, dass andere Länder sie kaufen, was der Ukraine wiederum Devisen bescheren würde.

Und es ist kein Wunder, dass die Trolle und Putin-Freunde auf Social-Media gerade freidrehen. Denn gestern Abend haben die USA das Hilfspaket von 61 Milliarden endlich verabschiedet. Das von den Republikanern lange blockiert wurde.
Das geht morgen noch in den Senat, da gilt die Zustimmung aber als sicher.

In diesem Paket enthalten sind weitere Raketen und Systeme vom Typ ATACMS. Das sind Artillerie-Raketen. Dieses mal soll die Ukraine aber die Version bekommen, die bis zu 300km weit fliegt. Was bedeutet, sie könnten Ziele auf der Krim und im Hinterland der russisch besetzten Gebiete erreichen.

Und obendrauf wird im Sommer mit den F-16 gerechnet. Also nicht mit der Lieferung, sondern dass sie dann am ukrainischen Himmel sind. Die Piloten werden überall schon ausgebildet.

Vielversprechend auch, dass sich inzwischen einige europäische Länder zu Initiativen zusammengeschlossen haben. Vor allem für Artilleriemunition – dabei spielt Deutschland eine große Rolle – aber auch für Drohnen. Auch dabei kam viel Initiative von Deutschland.

Es ist noch lange hin, bis in der Ukraine das Licht ausgeht.

Es sieht derzeit eher so aus, dass es immer beschissener für die Russen aussieht. Deren Rüstungswirtschaft an seinen Grenzen angekommen ist. Und die mit den enormen Überschwemmungen nun noch ganz andere Probleme durch die Hintertüre bekommen.

Also: Nicht durch irgendwelche Schlagzeilen oder durch Social Media verrückt machen lassen.

Ich sehe derzeit keinen Grund, von meiner Schätzung abzuweichen, dass der Krieg bis mindestens 2026 dauern wird und Russland kaum eine Chance hat, einen dauerhaften Vorteil daraus zu ziehen.

Kategorie kurz & knapp

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