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Ostdeutschland: Nachhilfe im Deutschsein

Hermannsdenkmal

Aufgrund meiner humorigen Erwähnung einer „Slawischen Volksfront“ in einem Posting kamen nicht nur merkwürdige Antworten. Inzwischen wurde mir sogar Rassismus vorgeworfen. Und da ist Schluss mit lustig. Ich kann nichts für die Unbildung vieler Menschen. Ich erkläre es aber gerne nochmal, damit die Ungebildeten den Dunning-Kruger-Effect bemerken.

Die Germanen wurden das erste Mal 80 v. Chr. erwähnt. Und das letzte Mal 98 von Tacitus. Sie spielten also für genau 178 Jahre eine Rolle. Es war die römische Fremdbezeichnung, die Germanen haben sich selber nie so genannt.
Die germanische Kultur hat sich von Skandinavien aus verbreitet. Menschen sind dabei weniger gewandert. Es ist die Bezeichnung einer Kultur. Und der südliche Teil Deutschlands war noch für Jahrhunderte keltisch, nicht germanisch. Inzwischen werden Vermischungen, wie am Rhein, als kelto-germanisch bezeichnet.

Entlang des Rheins bildeten sich Großstämme, also kleine Königtümer. Erkennbar noch heute an den Namen. Franken (frank und frei, Frankreich), Chatten (Hessen), Alamannen (romanischer Name für Deutsche) usw. Die historischen Sachsen entsprechen den heutigen Niedersachen, die heutigen Sachsen haben den Namen nur geklaut.

Im 7. Jahrhundert wanderten slawische Stämme in das weitestgehend unbesiedelte Gebiet, das aufgrund der Wasserwege recht genau dem entspricht, was heute Ostdeutschland ist. Plus kleine Teile von Bayern und Schleswig.

Und nur fürs Protokoll: Die jüdische Gemeinde in Köln ist 321 erstmals erwähnt. Das waren schon Deutsche, da war Ostdeutschland noch 400 Jahre lang Ödnis und Sumpf.

Im Westen wurde aus den Franken ein Großreich, aus dem nach vielen Wirren später das heilige, römische Reich werden sollte. Vom 5. Jahrhundert bis ziemlich genau 780 kam es zur so genannten fränkischen Landnahme. Und die ist noch heute an Ortsnahmen abzulesen. Denn Orts- und Flurnamen sind immer die ältesten einer Sprache.
Alle Orte, die auf „-hausen“, „-heim“, „-rod“, „-ingen“ oder „-weiler“ enden, wurden durch die Franken gegründet. Die damals aber schon ein wildes Gemisch aus „Deutschen“, „Belgiern“ und „Franzosen“ waren, also aus Nachfahren von Germanen, Galliern und Kelten. Kein Mensch sprach mehr von „Germanen“. Man gehörte zu einem Stamm innerhalb des fränkischen Reiches.

Zu der Zeit kam auch der Begriff „deutsch“ („thiudisk“) auf. Das war aber kein Herkunftsname und auch kein Name eines Stammes. Sondern damit wurden alle bezeichnet, die in Abgrenzung zur Gelehrtensprache Latein die Gemeinsprache sprachen. Es war eine Bezeichnung aufgrund der sozialen Stellung. Ein deutscher Mönch hätte also vielleicht auch einen Franzosen oder Tiroler als „thiudisk“ bezeichnet.

Erst durch die Christianisierung trennten sich die Westslawen (christlich) von den Ostslawen (orthodox). Slawische Ortsnamen enden häufig auf „-in“, wie Stettin, Ketzin, Ruppin, Berlin. Ausnahmen: Potsdam (Podstupim) und Rostock (Rastokŭ) zum Beispiel.
Es wurde slawisch gesprochen: Im Süden sorbische Sprachen, im Norden polabische Sprachen. (po = an, Laba = Elbe; Elbslawen)
Die Slawen bauten Rundburgen, die Franken der Zeit sog. Motten, aus denen sich später die Burgen mit Burgfried entwickelten.

Foto: Verteilung von Ortsnamen slawischen Ursprungs im heutigen Deutschland.

Erst hunderte Jahre später kam „germanisch“ wieder aufs Tablett. Aber von der Sprachforschung. Zu den Bahnbrechern gehörten hier die Gebrüder Grimm. Man bezeichnete bestimmte Sprachen als „germanisch“, weil sie beispielsweise dem Dänischen, Englischen oder Niederländischen sehr ähnlich waren. Das hat aber nichts mehr mit einer eigenen Kultur zu tun, und sicher nicht mit einer gemeinsamen Abstammung.

Im 18. Jahrhundert gab es immer noch kein Deutschland. Es gab Herzogtümer, Grafschaften und Königtümer. Und es kam zu einer Bewegung alle „deutschen Länder“ zusammenzuschließen. Das war zutiefst links und progressiv. Märzrevolution, der erste Bundestag, und so weiter. Daher stammen die Farben Schwarz-Rot-Gold. Vermutlich von Lützowschen Freikorps, die sich keine eigenen Uniformen für den Kampf gegen die französische Besatzung leisten konnten. Also färbten sie ihre Jacken schwarz, die Aufschläge rot und die Messingknöpfe leuchteten golden. (Lützow ist übrigens auch slawisch, nicht germanisch.)

Und daher stammt auch unsere Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“.
„Deutschland über alles“ bedeutete nicht, dass Deutschland besser als andere Nationen war. Das gab es ja noch gar nicht. Sondern dass ein gemeinsames Deutschland über den Herzogtümern, Grafschaften und Königreichen stehen sollte. Dass es das Wichtigste auf der Welt sein sollte, das zu erreichen und den Adel abzuschaffen. Und so wurde der Begriff des „Germanen“ modern. Allerdings historisch völlig verzerrt.
Das machte sich das Kaiserreich zu Nutze. In Abgrenzung zum angeblichen „Erbfeind“ Frankreich: Hier die Germanen, da die Gallier. Die Franzosen machten es genauso. Es war ein Marketingtrick. Hat man einen Feind, hat der Tag Struktur. Das Hermannsdenkmal erhebt sein Schwert Richtung Frankreich.

Foto: Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt, 1848.

Wenn ich also in Anspielung auf Das Leben des Brian eine konspirative Versammlung von Sachsen als „Slawische Volksfront“ bezeichne, ist das sicher vieles. Aber ganz sicher nicht rassistisch. Es ist sogar historisch korrekter, als Deutschtümelei und Germanen-Romantik.

Sorry, liebe Sorben, aber so besonders seid ihr nicht. Ihr habt euch die Sprache und bestimmte kulturelle Aspekte erhalten können und geltet deshalb heute als Ethnie. Was ich super finde. Aber Ihr seid deshalb nicht die einzigen Slawen, noch seid Ihr einzigartig. Auch die deutsch-dänische Minderheit ist von der 5% Hürde befreit, ebenso wie Sinti und Roma und Friesen.

Wir sind vielleicht ein Staatsvolk. Das ist gut so. Aber wir sind deshalb noch lange kein gemeinsames, ethnisches Volk.
Ich habe als Rheinländer mit 50% norddeutschen Wurzeln sicher mit Niederländern und Belgiern kulturell, historisch und genetisch mehr gemein, als mit einem Sachsen. Wir sind nicht ein Volk, sondern ein Verbund von deutschen Völkern, die von ihren jeweiligen Nachbarn beeinflusst wurden. Die Vereinigten Staaten von Deutschland. Auf dem Reichstag sollte „Den deutschen Völkern“ stehen. Fand der Kaiser aber sicher doof.

Gauland hatte Recht: Nicht nur Hitler war ein Vogelschiss der deutschen Geschichte. Die zwei Versuche eines deutschen Reiches waren der Vogelschiss. Und Höckes „1000 Jahre deutscher Geschichte“ waren eben nicht „1000 Jahre Deutschlands Geschichte“. Außerdem hat er damit über 300 Jahre deutsch-französisch-belgischer Geschichte ohne Ostdeutschland unterschlagen.
Das passt den Nationalisten nicht ins Narrativ. Deutschland war schon immer multi-kulti.

Und sorry liebe ostdeutsche Rechtspopulisten und Nationalisten, ihr seid so germanisch wie Kwas, Wodka und Soljanka. Und die Nummer mit Eurer Interpretation von Jägerschnitzel ist auch noch nicht vergessen.

Ich persönlich finde das wundervoll. Ich bin quer durch Deutschland gekommen und habe auch woanders gelebt. Ich habe Freunde aus allen Ecken und in vielen Minderheiten. Ich finde es toll nach Bayern oder Norddeutschland zu kommen, anderes Essen zu schmecken, andere Akzente zu hören, eine andere Geschichte zu erfahren und eine andere Mentalität zu spüren. Was kann es denn Spannenderes und Bereicherendes geben?
(Außer Sächsisch. Sächsisch ist scheiße. Und Sachsen wissen das. Gurke! Es heißt Gurke! Da ist kein „o“!)

Aufgrund dieser Hintergründe muss ich zu dem Schluss kommen, dass viele Menschen das nicht wissen. Denn in westdeutschen Schulen wurde es nicht gelehrt, weil wen interessiert die Ostzone? Lasst uns in den nächsten 47 Doppelstunden über Nazis sprechen. Und in ostdeutschen Schulen wurde es nicht gelehrt, weil SED.

Und deshalb waren 1990 alle so Wiedervereinigungsbesoffen. Und deshalb fühlen sich viele Ostdeutsche vor den Kopf gestoßen, weil sie dachten, sie würden jetzt wieder Teil einer deutschen Gemeinschaft werden. Und mussten dann feststellen, dass das im Westen irgendwie ganz anders läuft. Dass es keine Wiedervereinigung war, sondern ein Anschluss, eine Assimilation, weil niemand ihr angebliches Jägerschnitzel haben wollte. Außerdem haben Westdeutsche keine Gefühle. Wir haben Geld.
Westdeutsche waren längst ernüchtert, als Ostdeutsche sich noch über neue Tapetenmuster freuten, die nicht aus den 60ern stammten. Ich weiß, was Cordhosen bei Kindern anrichten können.

Viele haben ein Bild von Deutschland, das direkt aus dem Kaiserreich über das Dritte Reich importiert wurde. Und die wundervolle Verfassung unserer föderalen Republik wird schlicht ignoriert.

Ich lebe in einem kleinen Städtchen direkt am Rhein. Boomtown. Hier wird gebaut auf Teufel komm raus. Briefkastenfirmen, Straßenausbau, Schulen werden saniert, neue Schulen und Kindergärten werden gebaut, die Schulvepflegung für jedes Kind ist kostenlos, jedes Kind bekommt ein Instrument und die Gymnasiasten ein IPad. Seit Monaten hat mein Stamm-Supermarkt dicht, weil ein neues Einkaufszentrum/Shoppingmall/Kino entsteht. Und direkt am Rhein eine alte Raffinerie zum Veranstaltungszentrum ausgebaut wird.
Irgendwie kann das also nichts mit Berlin oder den Grünen zu tun haben. Ist das jetzt dieses „vor die Wand fahren“, von dem alle immer reden?

Ich erzähle das seit Jahren. Ich habe mich daran gewöhnt, dass viele – vor allem Ostdeutsche – mich als arrogant wahrnehmen. Genau das ist das Problem.
Ich bin nicht arrogant und ganz sicher nicht rassistisch. Ich finde nur, jeder sollte sich zunächst einmal um seinen eigenen Scheiß kümmern. Und dass die Minderheit einer Minderheit sich nicht wichtiger machen sollte, als sie ist.
Außerdem hasse ich es, wenn irgendjemand mich vereinnahmen will.

Ich stehe dazu, dass ich die Wiedervereinigung - eigentlich den Anschluss - nie für eine wirklich gute Idee gehalten habe. Ostdeutschland hätte sich erstmal einige Generationen ausprobieren sollen. Vielleicht hätte es so bessere Chancen gehabt, über 100 Jahre großmachtsträumerische Gehirnwäsche von autoritären Regimen abzuschütteln.

Nachtrag: Ich möchte dem geneigten Publikum nicht vorenthalten, dass ein Mitglied (Sachse) sich durch meine Äußerungen zu Ostdeutschland derart angegriffen fühlte, dass er seine Mitgliedschaft gekündigt hat. Ohne, dass ich groß diskutiert, geschweige denn ihn angegriffen hätte.
Nicht aber, ohne mir per PN mitzuteilen, dass meine „Ausführungen nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen“ ihn dazu bewegt hätten, die Zahlungen einstellen „zu müssen“.
Und das sagt glaube ich alles über das Ost-West-Problem, was man wissen muss.
Eingeschnappt zu sein ist das eine. Aber das Bedürfnis, das dem anderen auch noch mitteilen zu müssen, sagt alles.

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