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Desinformation durch Medien: Israel muss Offensive NICHT stoppen

Der IGH vor der Urteilsverkündung

Gestern wurde das erwartete Urteil des Internationalen Gerichtshofes verkündet. Und alle Medien berichten einheitlich, Israel müsse die Offensive in Rafah stoppen.
Das ist unwahr. Denn das Gericht hat das an eine Bedingung geknüpft. Die von den Medien ignoriert oder bewusst unterschlagen wird.

Um es für Laien verständlich zu machen, erkläre ich es auf persönlicher Ebene.
Die Quellen sind auf dem U.M. Server bereitgestellt und im Text verlinkt.

Es findet eine massive Desinformation durch die Medien statt.

Das ist ausdrücklich keine Verschwörungserzählung. Sondern das liegt schlicht und ergreifend an den Mechanismen der Agentur- und Nachrichtenmedien. Die aufgrund der wirtschaftlichen Zwänge möglichst schnell eine Nachricht veröffentlichen müssen.
In diesem Mechanismus werden Nachrichten verkürzt und so prägnant dargestellt, dass sie klickbar sind. Man brauch einfache Botschaften, damit die Leser sie rezipieren. Dadurch verkaufen die Medien Werbung. Die Öffentlich-Rechtlichen unterliegen den Mechanismen indirekt.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine versuche ich, Medienmeldungen verständlich zu machen. Denn da in diesen Medienmechanismen häufig Details unter den Tisch fallen, führt das sehr häufig zu einer Verzerrung in der Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer, der Leserinnen und Leser. Vor allem in meinem Fachbereich Krieg, Nachrichtendienste und Sicherheitspolitik.
Die jeweilige Propaganda nutzt diese Mechanismen, um bewusst, gezielt und orchestriert solche Verzerrungen zu produzieren. Die Medien machen sich zu Handlangern. Sicher ohne es zu wollen und – wie ich befürchte – ohne es umfassend zu verstehen oder ändern zu wollen.

Genau das findet derzeit mit dem Gerichtsurteil des IGH statt.

Die Falschmeldung

Bis in den späten Abend habe ich gearbeitet. Währenddessen flimmerte mir die Eilmeldung über die Monitore, der IGH habe angeordnet, Israel müsse seine Offensive in Rafah stoppen.
Also postete ich dazu eine kurze Stellungnahme – dass dies lediglich zeigen würde, wie zahnlos das Gericht ist (da Israel sich nicht daran halten würde) – und arbeitete weiter.
Es war nachlässig und ebenfalls den obigen Mechanismen geschuldet. Von denen ich mich freimachen will. Es war ein Fehler, die Postings habe ich noch am Abend gelöscht.

Ein Nutzer kommentierte auf der Facebook Fanpage (Öffnet in neuem Fenster), dass das Gericht das so gar nicht gesagt hätte. Offenbar ein Jurist, der auch entsprechende Zitate anbrachte.
Glücklicherweise habe ich den Kommentar gesehen und mich für den Hinweis bedankt. Ich habe mir das Urteil herausgesucht und bin fast hinten über gefallen.
Es stimmt: Das steht nicht im Urteil. Zumindest nicht so, wie die Medien es berichteten.

Ich ging viele der Meldungen durch. Was ich sah, war das:

Kollage von Schlagzeilen

Das wichtige Vorspiel

Am 29. Dezember 2023 rief Südafrika den Internationalen Gerichtshof an.
Gefordert wurde eine Anwendung der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“.

Das ist absolut entscheidend. Es geht nicht um einen Angriffskrieg einzelne Kriegsverbrechen, sondern um Völkermord. Und nur darum.
Über den Urteilen steht immer „Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide“.

Am 26. Januar verkündete das Gericht im Eilverfahren sein Urteil.
Es erlegte Israel Maßnahmen auf. Vereinfacht gesagt, sagte das Gericht Israel, dass es keinen Völkermord verüben darf. Also nichts, was nicht eh bekannt wäre.
Im Grunde bedeutet das, dass Südafrika mit seiner Klage gescheitert ist. Denn die Hauptforderung war ja, einen Völkermord festzustellen und zu beenden. Doch das hat das Gericht nicht getan.

Das Urteil wurde umgedeutet. Allerdings eher bei den Fürsprechern der Palästinenser und auf Social Media, denn durch die Medien. Noch.
Es wurde so getan, als habe das Gericht einen Völkermord bestätigt und Israel auferlegt, das sofort zu beenden. Ich selber hatte dutzende Diskussionen auf den Social Media Plattformen mit Menschen, die überzeugt waren, dass durch das Urteil bewiesen wäre, dass Israel einen Völkermord begeht.

Es wurde gar nicht wahrgenommen, dass das entsprechende Gesetz auch „Konvention über die Verhütung … des Völkermordes“ heißt. Das Gericht kann also Maßnahmen anordnen, bevor ein Völkermord verübt werden könnte. Das bedeutet nicht, dass einer stattfindet.

Angeordnet wurde auch, dass Israel einen Bericht erstellen soll, der über die getroffenen Maßnahmen Auskunft gibt. Dieser Bericht wurde fristgerecht am 26. Februar an das Gericht und Südafrika übermittelt. Den Medien war das keine Meldung wert.

Die nächste Runde

Am 6. März rief Südafrika den IGH erneut an. Das Gericht solle Israel weitere Maßnahmen auferlegen, welche die Versorgungslage der Gaza-Palästinenser verbessern sollen.
Das Gericht sollte also sein erfolgtes Urteil erweitern und etwas hinzufügen.
Am 28. März tat das Gericht auch das. Und am 29. April übermittelte Israel seinen entsprechenden Bericht an das Gericht.

Am 10. Mai stellte Südafrika eine erneute Forderung. Das Gericht solle anordnen, dass Israel sich sofort aus dem Bereich Rafah zurückziehen und die Offensive beenden soll.

Man kann ein Muster erkennen.
Das sind keine „neuen“ Klagen, es handelt sich nicht um ein neues Verfahren. Sondern es geht nach wie vor um das Verfahren vom Januar.
Wann immer ein Anlass im Gaza-Streifen ausreichend scheint, um das Gericht anzurufen, macht Südafrika das. Es fordert nun bereits zum zweiten Mal, dass das bereits ergangene Urteil „aktualisiert“ wird.
Das ist gemeint, wenn Leute sagen, Südafrika würde das Gericht instrumentalisieren.

Um die Hintergründe beurteilen zu können, muss man auch wissen, dass Südafrika die Hamas als legitimen Vertreter des Gaza-Streifens anerkennt. Vertreter der Hamas sind in Südafrika Staatsgäste.
Anfang Dezember war eine hochrangige Delegation der Hamas zu Besuch in Südafrika. Nur wenige Wochen bevor Südafrika den IGH anrief. Und genau zum Zeitpunkt der aktuellen Forderung fand in Südafrika eine „Globalen Anti-Apartheid-Konferenz zu Palästina“ statt, zu der erneut eine hochrangige Delegation der Hamas angereist war.
Daher kommt auch das Narrativ, Israel als Apartheidsstaat zu bezeichnen. Obwohl es das per Definition nicht ist.

Auch das ist keine Verschwörungserzählung. Da wird nichts heimlich ausgemacht. Es ist völlig offen, viele internationale Medien haben darüber berichtet. Hamas und Südafrika vertreten gemeinsame Interessen. Und da die Hamas den IGH nicht anrufen kann, macht Südafrika das für sie.

Das neuerliche Urteil

Gestern Abend ist also das neuerliche Urteil (Öffnet in neuem Fenster) ergangen. Die zweite Anpassung des Urteils vom Januar.

Im Urteil und in der Pressemitteilung (Öffnet in neuem Fenster)wird ein Satz des Urteils wiedergegeben, der zu der Verkürzten Aussage geführt haben dürfte.

„By thirteen votes to two,
Immediately halt its military offensive, and any other action in the Rafah Governorate, which may inflict on the Palestinian group in Gaza conditions of life that could bring about its physical destruction in whole or in part“

„[Israel soll…]
Mit dreizehn zu zwei Stimmen
unverzüglich seine Militäroffensive und alle anderen Aktionen im Gouvernement Rafah stoppen, die der palästinensischen Gruppe in Gaza Lebensbedingungen auferlegen könnten, die zu ihrer vollständigen oder teilweisen physischen Zerstörung führen könnten“

Ja, wenn man das so liest, kann man es leicht so verstehen, dass Israel seine Offensive stoppen soll. Wenn man das will.
Aber das steht da nicht. Und das ist keine reine Wortklauberei, das hat massive Auswirkungen.
Vor dem Hintergrund, dass es hier um die Verhinderung eines Völkermordes geht, soll Israel alle Aktionen stoppen, die zu einem Völkermord führen könnten. Könnten! Konjunktiv. Auch im Englischen: „may“ und „could“.

Als ich das zu später Stunde gelesen habe, wusste ich bereits, was die Schlagzeilen von heute sein würden:
Dass Israel sagt, dass es keinen Völkermord begeht. Und dass Israel seine Offensive nicht abbricht.
Quod erat demonstrandum.

Die Gegenstimme

Gegen dieses Urteil gestimmt hat auch die Vizepräsidentin, Präsidentin Julia Sebutinde. Deren Erklärung (Öffnet in neuem Fenster) dazu ebenfalls mit dem Urteil veröffentlicht wurde.
Zwischen den Zeilen klingt heraus, dass sie den IGH wohl durch Südafrika instrumentalisiert sieht und vielleicht sogar um dessen Ansehen fürchtet.

„Wieder einmal hat Südafrika das Gericht aufgefordert, die Führung der Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hamas bis ins kleinste Detail zu steuern. Solche Feindseligkeiten unterliegen ausschließlich dem Kriegsrecht (humanitäres Völkerrecht) und den internationalen Menschenrechtsnormen; Bereichen, für die der Gerichtshof in diesem Fall nicht zuständig ist.
Bedauerlicherweise ist der Wortlaut der Weisung des Gerichtshofs […], der Israel anweist, „seine Militäroffensive im Gouvernement Rafah einzustellen …“ anfällig für Unklarheiten
und könnte als Anordnung eines unbefristeten, einseitigen Waffenstillstands missverstanden oder falsch ausgelegt werden. Was ein Beispiel für eine unhaltbare Übermaßnahme seitens des Gerichtshofs wäre.
Nach meinem Verständnis besteht das Ziel des Gerichtshofs darin, Israel nur insoweit anzuweisen, seine Militäroffensive in Rafah auszusetzen, als eine solche Aussetzung notwendig ist, um die Schaffung von Lebensbedingungen zu verhindern, die zur Vernichtung der Palästinenser in Gaza führen könnten.“

Präsidentin Sebutinde hat also bereits vor der Urteilsverkündung vorhergesagt, was nun in den Medien passiert. Und niemanden interessiert es, am wenigsten die Medien.

Foto: Der Brüssel-Korrespondent Michael Grytz erklärt in der Tagesschau die angebliche Anordnung zur Beendigung der Offensive. Grytz ist übrigens kein Jurist, sondern hat Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Wirtschaft studiert.

Michael Grytz in der Tagesschau

Die Desinformation der Öffentlichkeit

Der Internationale Gerichtshof hat ein Urteil gefällt.
Dieses Urteil besagt, dass Israel alle Aktionen stoppen soll, die zu einem Völkermord führen könnten.

In den Mechanismen der Medien wird daraus, Israel solle seine Offensive in Rafah beenden. Das Handelsblatt titelte gar, Israel solle sich aus Rafah zurückziehen. Wovon nun wirklich so gar nichts im Urteil steht.

Im Grunde unterstellt die Verkürzung implizit, dass dort bereits ein Völkermord geschieht. Denn nur dann müsste sie laut IGH gestoppt werden. Aber den hat das Gericht – erneut – nicht gesehen.
Ob bewusst oder unbewusst: Die Medien schaffen Tatsachen, indem sie den Völkermord a priori behaupten, ohne es auszusprechen.

Und in der Öffentlichkeit muss nun der Eindruck entstanden sein, dass Israel sich einer Anweisung des Gerichts widersetzt.
Zudem muss sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigen, dass Israel einen Völkermord begeht. Obwohl das Gericht ja genau den eben nicht festgestellt hat. Und in einem solchen Eilverfahren auch gar nicht könnte.
Und die Vizepräsidentin des Gerichts hat genau das vorhergesagt.

Südafrika hat diesen Eindruck bewusst gefördert. Die Delegation erklärte unmittelbar nach dem Urteil, es sei bahnbrechend. Dabei hat Südafrika praktisch nichts erreicht. Außer als populistischer Rattenfänger im Sinne der Hamas den Druck auf Israel zu erhöhen. Was sicher auch das Ziel ist.

Ich bin sehr vorsichtig mit Superlativen.
Aber man kann dies nicht anders nennen, als eine massive Desinformation der Öffentlichkeit. Nicht ausschließlich, aber vor allem durch die Medien. Von denen die Öffentlichkeit zu Recht erwartet, dass sie sie korrekt informieren. Sie ist abhängig von ihnen.

In meiner vorherigen Tätigkeit habe ich mich häufig mit „gesteuerter Kommunikation“ auseinandergesetzt. Verzerrende, einseitige Berichte durch die Medien, Gefälligkeitsstudien und Schlagzeilen, die Dinge behaupten, die nicht in den zitierten Studien stehen.
Doch eine solche Desinformation ist mir zuvor nie untergekommen. Sie ist dramatisch. Denn sie zeigt, wie sehr die Medien inzwischen die wahrgenommene Realität verändern können.

Kategorie Medien und Politik

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